Weihnachten 2011
Ich gehe mit meiner Familie um den Hubertusplatz spazieren. Ich mag den Wald aus ganz verschiedenen Gründen, vor allem, weil er mich eins sein lässt, mit dem, was ich mal spröde Umwelt nenne.
Ich sehe eine Gruppe Mountainbiker in Grün-Weiß. Mountainbike! Sport! Das habe ich das letzte Mal mit 18 gemacht, das war vor 16 Jahren. Gerne möchte ich mit Leuten aus meiner Umgebung etwas zu tun haben und eben auch Mountainbike fahren. Ich lebe nun seit 6 Jahren in Velen-Ramsdorf und kenne eigentlich niemanden. Schützenverein ist nicht mein Ding. Damit hätte ich wahrscheinlich aufwachsen müssen. Als Berliner bin ich mit echten amerikanischen Panzern und Gewehren aufgewachsen und mit russischen auf der anderen Seite –von meinem Elternhaus zum Todesstreifen waren es etwa 2 km. Alkoholisierte Menschen mit Holzgewehren irritieren mich. Allerdings finde ich es hervorragend, Traditionen zu bewahren. Wer hier groß geworden ist, sollte im Schützenverein sein. Vielleicht packt es mich nochmal, zumindest war ich noch nie so betrunken wie beim Schützenfest – es war die Bowle.
Fußballspielen kann ich auch nicht – wieder eine Anschlussmöglichkeit weniger. Der Entschluss ist gefasst: die Jungs versuche ich zu kontaktieren. Hier im Wald geht das nicht, die sind etwas zu weit und vor allem schnell weg.
Einige Tage später kommen mir wieder die Menschen in Grün-Weiß in den Sinn, also google ich. „Mountainbike“ und „Velen“ bringen sofort das Ergebnis. Da sind die Trikots auf dem Foto. Ein Forum haben die auch. Mal reinschreiben, ob die wirklich an Neuen interessiert sind oder das nur pro forma da steht. Hier in der Gegend habe ich bisher gelernt, dass Neues und Zugezogene eher mit sehr viel Abstand betrachtet werden.
Tatsächlich bekomme ich über das Forum eine Antwort von Ludger Tempelmann, der offensichtlich den Hut diesbezüglich auf hat. Kurz darauf telefonieren wir und mir werden der Verein, seine Geschichte, die Mitgliederzusammensetzung und die sportlichen Aktivitäten vorgestellt. Herr Tempelmann klingt dabei sehr freundlich und professionell. In Berlin wäre ich jetzt zu meiner Person befragt worden, hier ist das anders. Meine Frau sagt, dass die Leute hier nicht gerne neugierig wirken wollen. Mir ist das alles recht. Wir verabreden uns für kommenden Mittwoch. Da darf ich mal mitfahren.
4.1.12 Das erste Mal
Pünktlich erscheine ich am Treffpunkt. Nieselregen und starker Wind – warum mache ich das? Es finden sich gut 10 weitere Personen ein, die alle absolut top ausgerüstet sind. Nicht nur dass sie Trikots tragen – die Bekleidung und vor allem die Bikes sind top. Alles gute, schnelle Bikes, die recht teuer aussehen. Ich habe mein Aldi-Alltagsrad mit Nabendynamo und Korb unter dem Hintern. Das war wahrscheinlich so teuer wie das Vorderrad meines Nebenmanns, oder seine Lampe. Diese Lampen! Die sind ja unglaublich hell! Wenn die Männer und die eine Dame so schnell fahren, wie sie aussehen, dann kann ich einfach hier stehen bleiben – warum mache ich das? Es geht los. Tempo ist in Ordnung, vor allem im Windschatten und bei Rückenwind. Alles andere ist von Anfang an schon recht beschwerlich. Ludger gesellt sich zu mir – schnell wird klar, das Duzen angesagt ist. Überhaupt weicht Ludger den Weg kaum von meiner Seite und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Ohne seine Gesellschaft hätte ich mich die ganze Zeit gefragt: warum mache ich das?
Wind! Die letzte halbe Stunde kämpfe ich ordentlich. Die ganze Crew fährt meinetwegen bereits gemäßigtes Tempo. Wir fahren über eine Brücke, es geht bergauf. Jetzt ziehen hier alle ganz locker hoch – wie machen die das? Tatsächlich sind diese Biker alle so schnell, wie sie aussehen. Wie alt sind die eigentlich? Man kann das in der Dunkelheit plus Regen plus Helm und Kälteschutz ganz schlecht ermitteln.
Ich kann nicht mehr. Mit letzter Kraft komme ich dann auch wieder an der Tennishalle in Velen an. Auf die Frage: „Na, ging doch, oder?“ versuche ich mich so zu äußern, dass ich das nächste Mal wieder mitkommen kann. Eigentlich bin ich total platt. Was ich mich außerdem schon die ganze Zeit fragte ist, warum einer der Fahrer bei dem Wetter keine Schutzbleche aufgesteckt hatte. Ich habe Ludger gefragt, der mir versprach an der Tennishalle den Marcus danach zu fragen. Das tut er dann auch: „Ey Marcus, der Mark will wissen, warum du keine Schutzbleche hast!“ Laut und deutlich höre ich: „Weil ich keine pussy bin!!“
Ok, ich habe Schutzbleche, einen Gepäckträger, Fahrradständer und einen Einkaufskorb. Was bin ich wohl in Marcus‘ Augen? Warum mache ich das hier?
Die Verabschiedung ist kurz und ein Biker erklärt sich bereit, mich nach Hause zu bringen. Das ist sehr nett. Vielleicht hatte er schon gesehen, dass ich fast vom Rad falle. Auf dem Weg zu Dorenfeld dann wieder Gegenwind und ein Begleiter, der sein Geld auch als Motivationscoach verdienen könnte. Es ist Bernhard Lammering. Ich kämpfe die letzten Meter alleine gegen den Wind nach Hause und bin absolut am Ende. Ich spüre meine Arme nicht mehr. Die Beine sind schwer wie Blei, ich hechele nur noch. Völlig übersäuert! Warum habe ich das gemacht? Aber ich bin angekommen! Danke an die rücksichtsvollen Biker. Fazit des Tages: Da brauche ich nie wieder aufzutauchen, da mach ich mich kaputt und die langweilen sich…. Fortsetzung folgt.
Gruß Mark